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Ski-WM in Cortina d’Ampezzo: Tofana war im Ersten Weltkrieg Kriegsschauplatz

  • Erstellt von Präs. Hans Duffek / GS Alexander Barthou

Cortina, Februar 2021:  Die Abenddämmerung ist einer beginnenden Nacht entwichen. Wolkenschleier verhüllen die bald sichtbare kleine Sichel des Mondes. Es herrscht Totenstille. Mit einem Mal setzt ein höllischer Lärm ein, Leuchtraketen rasen gegen Himmel und erstrahlen in den Farben blau-weiß-rot zur Ankündigung an die nächsten alpinen Ski-Weltmeisterschaft 2023 in Courchevel in Frankreich. Damit sind zugleich 46 Meisterschaften zu Ende gegangen, die für Österreich im friedlichen Wettstreit 8 Medaillen gebracht haben.
Die Tofana-Piste in Cortina war dabei der Austragungsort der Weltmeisterschaft. Auch wenn diese Corona-bedingt großteils ohne Öffentlichkeit und nur virtuell zu besuchen waren, so hat kaum jemand daran gedacht, dass gerade dieser Ort vor gut 100 Jahren der Kernpunkt von Kampfhandlungen in den Dolomiten gewesen ist. An die 8.000 Soldaten, vornehmlich Italiener und Österreicher, haben hier ihr Leben verloren.
Damals hieß diese Ortschaft in diesem dolomiten-ladinischen Tal im Herrschaftsbereich der Österreicher noch Anpezo. Ende des 19. Jahrhunderts erlebte Anpezo eine Blütezeit. Von Bergbegeisterten, dem österr.-ung. Adel und dem gehobenen Bürgertum Frankreichs und Englands entdeckt, entwickelte sich der Ort bald zum begehrten Fremdenverkehrszentrum. Diese „goldene Zeit“ endete für Anpezo abrupt mit dem Attentat von Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und dem Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914.
Die Dolomiten wurden mit dem Kriegseintritt Italiens gegen Österreich-Ungarn am 23. Mai 1915 zum direkten Frontgebiet. Die wehrpflichtigen Männer kämpften an der Ostfront gegen Russland. 669 Daheimgebliebene – unter 16-jährige und über 50-jährige – Einwohner übernahmen die Verteidigung gegen die vorrückenden italienischen Truppen, mussten den Ort aber aus militärstrategischen Gründen aufgeben und sich auf Verteidigungslinien in den Bergen zurückziehen. 1917 wurde Anpezo nach der italienischen Niederlage bei Karfreit (Isonzo) wieder von Tiroler Standschützen eingenommen. Insgesamt waren infolge des Krieges 144 Anpezzaner gefallen. Im Gebiet von Cortina gab es 38 Soldatenfriedhöfe, überall Schützengräben, Stacheldraht, Einschlaglöcher, Splitter und Baracken. 2450 Hektar Wald waren verwüstet.

Nach dem Waffenstillstand vom 3. November 1918 wurde mit dem südlichen Tirol auch Anpezo von italienischen Truppen besetzt. Trotz dem Votum der Bevölkerung bei Tirol und Österreich bleiben zu wollen, entschieden die Siegermächte für die neue staatliche Zugehörigkeit von Südtirol und dem Trentin zu Italien. Anpezo wurde 1923 der italienischen Provinz Belluno zugeschlagen und erhielt den Namen Cortina d’Ampezzo. Im Ort wurde ein großes Denkmal für die gefallenen italienischen Soldaten – das Ossarium Pocolo mit dort 9.707 Kriegsopfern – errichtet. Auch 37 namentlich bekannte österr. ung. Soldaten fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Erst 1998 wurde mit einem Denkmal den gefallenen „Anpezzanern“ gedacht, da diese seinerzeit auf der Seite Österreich-Ungarns gekämpft hatten!
Die wechselvolle Geschichte der Ortschaft fand noch in den Jahren des 2. Weltkrieges eine Fortsetzung. Nach dem Sturz Mussolinis und der Besetzung Italiens durch deutsche Truppen wurde das ehemalige Anpezo noch im September 1943 in der Operationszone Alpenvorland mit der Provinz Bozen und mit der amtlichen Doppelbezeichnung Hayden – Cortina d’Ampezzo wiedervereinigt, wobei bis zum Kriegsende 51 Anpezzaner – davon 31 an der Ostfront – den Tod gefunden haben.

Die jüngere Generation hat in Cortina d’Ampezzo kaum mehr eine Erinnerung an diese wechselvolle Geschichte. Heute dominiert das Gesellschaftsleben den Ort. Die Ski-Meisterschaften sind ebenso ein Zeichen der Stärke in Organisation und Infrastruktur, ebenso wie das nach wie vor existente Gefühl für die Bergebegeisterung und Bewahrung der Schönheit der Dolomiten und Ladinischen Täler.

Möge diese Stimmung im Europa der Regionen in der Europäischen Union anhalten – zum Wohle der jetzt lebenden Generation, aber auch zum Andenken an die Opfer, die in den 37 umliegenden Friedhöfen ihre ewige Ruhe gefunden haben.

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Im Ossarium di Pocol ruhen die Gebeine von rund 9.700 ortsfremden Gefallenen. Eine Gedenkstätte für die Kriegsopfer aus Cortina gibt es erst seit 1998.